Über körperliche Grenzen
- janinkoehler
- 30. Juni 2024
- 6 Min. Lesezeit

Als ich am 24.06.24 wieder ein Parkour Training mit meinem Personalcoach hatte, wusste ich noch nicht, dass dieser Tag als einschneidendes Erlebnis mein Leben nachhaltig verändern wird.
Falls du dich jetzt fragst, was ist denn bitte ein Parkour Training? Hier eine kurze Erklärung:
Es hat seinen Ursprung in Frankreich und wird auch als die Kunst der effizienten Fortbewegung bezeichnet. Hierbei werden Hindernisse aus dem Alltag überwunden, wie Mauern, Treppengeländer, der Sprung von einer Kante auf eine andere oder das Springen über einen Gap (Lücke) zwischen zwei Hindernissen. Falls du ein Parkour Experte bist, hoffe ich meine kurze Erklärung war richtig, ansonsten darfst du mich gerne korrigieren ;-)
Als ich Parkour kennenlernte, war ich beeindruckt und fand es sehr faszinierend, es erinnerte mich an das Überqueren der Hindernisse im Reiten. Wo ich mit dem Pferd früher gemeinsam über Gräben oder Baumstämme sprang. Die Bewegung an der frischen Luft und der Team-Spirit sowie die damit verbundenen Werte sagten mir ebenfalls zu. Ganz im Gegenteil zum Reitsport ging es hierbei weder um Leistung noch um irgendeine Art Wettkampf, den es zu gewinnen gibt. Das waren die Beweggründe es selbst mal auszuprobieren. Denn ich habe zwar bereits mit Yoga und Zeit in der Natur verbringen einen Ausgleich zum Reiten gefunden, doch irgendwas in mir suchte nach einer weiteren Herausforderung und wollte wie beim Reiten erneut über Grenzen gehen, mein „höher schneller weiter- Ich“, was Bewunderung und Anerkennung im Außen sucht war erneut erwacht.
Somit wollte ich Parkour unbedingt mal ausprobieren in der Hoffnung damit einen passenden Ersatz zum Reiten zu finden. Die ersten Trainings verliefen auch sehr gut, es war körperlich sehr anstrengend, doch ich fühlte mich gut danach. Ich freute mich über meine gemachten Erfolge und war beeindruckt, wie schnell ich selbst einige der Moves schon konnte. Ich fühlte mich in meinem Wunsch bestätigt, einen passenden Ersatz zum Reiten gefunden zu haben.
Ich absolvierte weitere Trainings bis zum besagten Tag, der eine krasse Veränderung mit sich brachte. Es war zum Ende des Trainings. Die Aufgabe bestand darin über ein Geländer in Form einer runden Metallstange, was sich auf einer Mauer befand zu springen, sich dabei zu drehen, mit den Hände umzugreifen und mit den Füßen sicher auf der Mauer landen um sich dann gezielt von der Mauer runterzubewegen. Es funktioniert bereits ein paar Mal sehr gut. Nach dem vorletzten Mal signalisierte mir mein Körper allerdings meine Kräfte schwinden und es reicht langsam für heute. Ich behielt es jedoch für mich und ignorierte, diese kleine leiste zarte Stimme meines Körpers. Mein Ego war in dem Moment stärker und wollte noch mehr.
Da die Technik beim Umgreifen meiner Hände noch verbesserungswürdig war, wollte ich es unbedingt nochmal wiederholen, um es mir und meinem Trainer zu beweisen, dass ich es kann. Ich versuchtes es also erneut, diesmal lag mein Fokus jedoch zu sehr auf der Technik, was dazu führte, das meine eine Hand die Stange anders als bisher erst später versuchte zu greifen und mein Körper verlies die Kraft. Es passierte was scheinbar passieren musste da ich nicht auf meinem Körper hören wollte, sondern fühlen musste. Ich verfehlte mit dem Fuß die Mauer und prallte mit voller Wucht schräge mit meiner linken Seite des Oberkörpers auf die runde Metallstange.
Es war nur ein Bruchteil einer Sekunde, ich schrie den Namen meines Trainers und sagte nur „das war scheiße“, als ich spürte, wie die runde Metallstange einmal mein äußeres komplett nach innen drückte. Für einen kurzen Moment dachte ich das wars jetzt, Game Over. Mein Trainer war da, um mich beim Abgang von der Mauer zu stützen, wie ich dort runter kam kann ich nicht mehr genau beschreiben. Mein Fokus war in diesem Moment nach innen auf meinen Körper gerichtet, um zu spüren was da gerade passiert ist und was es mit mir gemacht hat.
Das Atmen viel mir schwer und ich hatte das Gefühl erdrückt worden zu sein. Ich schwankte zwischen direkt ins Krankenhaus oder einfach weiter machen, denn in dem Moment waren nur leichte Schmerzen da von außen keine Verletzung sichtbar und das Adrenalin sorgte dafür das es mir gut ging.
Doch etwas in mir sagte jetzt ist Schluss, das Training ist für heute beendet. Ich fuhr nach Hause, da ich mir unsicher war, ob ich damit wirklich direkt in die Notaufnahme gehen soll, denn es ging ja noch, war somit ja kein wirklicher Notfall.
Auf der Fahrt nach Hause kamen langsam die Schmerzen und ich spürte wie sehr ich in meiner Bewegung und auch Atmung eigeschränkt war.
Zu Hause angekommen, legte ich mich erstmal auf die Kloud, denn bei Verletzungen und Schmerzen half sie mir bisher immer sehr gut. Ich kam zur Ruhe und realisierte immer mehr was da gerade passiert ist. In mir wurde eine Stimme laut die mir sagte was ist, wenn du innerliche Verletzungen hast, das solltest du abklären lassen. Ich war mir jedoch unsicher, wo genau ich damit hingehen soll. Denn aus meiner Zeit als operationstechnische Assistentin wusste ich das Röntgen und Ultraschall sowie CT oder MRT nötig sind, um innere Verletzungen auszuschließen, daher blieb nur die Notaufnahme. Weil ich mich jedoch nicht wie ein akuter Notfall fühlte und es mir nach dem klouden auch kurzzeitig besser ging, aß ich erstmal etwas zum Mittag und wartetet auf meine Tochter, bis sie aus der Schule kam. Sie hatte sich für den Nachmittag glücklicherweise mit einer Freundin verabredet. Als sie sich auf den Weg dorthin machte, beschloss ich mich in die Notaufnahme zu gehen. Gut, dass diese mit kurzem Fußweg von mir entfernt ist.
Dort angekommen, sagte mir die Dame in der Aufnahme: „gut, dass Sie hier sind, denn bei solchen Unfällen kann es schnell mal zu einer Milzruptur kommen, und die wird dann erst in zwei Tagen zu einem akuten Notfall und dann kann es manchmal schon zu spät sein“. „Super“ dachte ich mir. Und fühlte mich damit in meinem Gefühl bestätigt, das es eine gute Idee war in die Notaufnahme zu gehen.
Ich musste eine ganze Weile warten, das Sitzen auf dem Stuhl im Wartebereich war sehr anstrengend und unangenehm, sowie schmerzhaft.
Als der Arzt mich untersuchte, gab er nach dem Ultraschall schnell Entwarnung, es ist „nur“ eine Thorax Prellung, die wieder verheilen wird. Er sagte ich hatte großes Glück im Unglück, denn es hätte auch deutlich schlimmer enden können. Ich war sehr erleichtert und dankbar. In dem Moment wurde mir jedoch bewusst, dass ich mit dem Überschreiten meiner körperlichen Grenze mein Leben riskiert habe und im wahrsten Sinne des Wortes mit einem blauen Thorax davongekommen bin.
Für mich war es ein krasser Denkzettel vom Leben. Ich fragte mich: „Was will mir das Leben damit sagen?“ Denn ich bin davon überzeugt das alles, was mir passiert einen Grund hat, jede Erfahrung ist dazu da, um aus ihr etwas zu lernen.
Meine Erkenntnis: Ich wollte Parkour ausprobieren, das habe ich getan, mit allem, was dazu gehört. Ich habe die Sonnen und auch die Schattenseiten kennengerlernt, am eigenen Körper gespürt was passieren kann, wenn ich über meine eigenen Grenzen gehe, um mir oder anderen was beweisen zu wollen sowie dabei den Fokus verliere. Was passiert, wenn mein Egon (Ego) größer ist und nicht genug bekommen kann. Ich suchte einen Ersatz für Reiten, weil ich Anerkennung und Bewunderung erneut im Außen suchte. Mir wurde jedoch schmerzlich bewusst, dass ich mich weiterentwickelt habe und die Anerkennung und Bewunderung nur in mir selbst finde.
Der Unfall hat mich förmlich spüren lassen von außen ins Innere zu gehen. Mein Fazit aus dem Ganzen, Parkour ist nach wie vor eine großartige Art sich draußen zu bewegen, körperlich fit zu bleiben, an seine Grenzen zu gehen und über sich selbst hinaus zu wachsen. Ich jedoch werde es aufgeben, da ich für mich gemerkt habe, mir ist das Verletzungsrisiko einfach zu hoch zudem trage ich eine Verantwortung für meine Tochter, die mich braucht.
Für mich gibt es andere und geeignetere Arten mich körperlich auszupowern, an meine Grenzen zu gehen und mich draußen zu bewegen. Dabei ist mir wieder bewusst geworden, wie gerne ich Volleyball spiele, was nun mein neues Ziel ist, sobald ich wieder vollständig genesen bin.
Jedoch werde ich nun zukünftig auf meine körperliche Grenze hören. Ich weiß jetzt das mein Kopf oder Egon (mein Ego) manchmal mehr will als mein Körper leisten kann.
Meine Botschaft an dich:
Höre auf deinen Körper, schieb deinen Egon (Ego) liebevoll zur Seite, wenn er anderer Meinung wie dein Körper ist. Tue das, was dir guttut, gehe auch mal an deine Grenzen, verlasse deine Komfortzone und probiere neues aus. Doch gehe niemals über deine eigene körperliche Grenze und wenn dir der Fokus fehlt, mache ein anderes Mal weiter. Gönn dir eine Pause, wenn du sie brauchst, bevor dich dein Körper zu einer Pause zwingt, die dann aus eigener Erfahrung viel länger dauert und zum Teil auch schmerzhafter ist.
Liebste Grüße
Janin
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